www.kfztech.de |
Totgesagte leben länger: Frontalunterricht und Lehrervortrag |
von Hans-Dietrich Zeuschner (12.01)
1.
Frontalunterricht
Der
Erfolg heiligt die Mittel, sagt der Volksmund. Seit Jahrzehnten dominiert
in Schule eine Arbeitsform mit nachweisbar gutem bis sehr gutem Erfolg.
Und dennoch wird heute Frontalunterricht in
Seminaren und Publikationen nicht selten als ‘Relikt aus Kaisers Zeiten‘,
als undemokratisch, unzeitgemäß und damit nicht mehr tragbar bezeichnet.
Zur Verstärkung des negativen Touchs
belegt man in vielen Fällen diese Variante
mit dem Attribut lehrerzentriert ‚
das Tausch R. u. A. mit ‘autokratisch-patriarchalisch‘ übersetzt
haben und geht gelegentlich so weit, die
Arbeitsform Frontalunterricht
als Alternative neben das Unterrichtsprinzip
Handlungsorientierung oder nach
R.Kirchhoff: neben den didaktischen
Grundsatz handlungsorientiertes Lernen,[1]
zu stellen. Ist
die Arbeitsform Frontalunterricht im
didaktischen Zeitalter der “Handlungsorientierungsorientiertheit“
tatsächlich ´out´ ?
Seit
dem 17. Jh. ist Frontalunterricht ein
wesentliches Element der inneren Organisation des abendländischen
Schulwesens. Ausgehend von der Annahme einer gesetzmäßigen
körperlich-geistigen Entwicklung des Menschens und mit Hilfe eines
gestuften Lehrplans hielt Comenius es für möglich, alle Schüler einer
Klasse einheitlich zu gleichen Leistungen zu führen. Pestalozzi
und die Gymnasialpädagogen des 19. Jh. hielten an der Arbeitsform Frontalunterricht
fest. Besonders die Herbartianer bauten sie durch die Einführung
des Formalstufensystems und des fragend-entwickelnden Lehrverfahrens aus.
Erst die Reformpädagogen stellten neben den vom Lehrer geleiteten Frontalunterricht
das Unterrichtsgespräch. |
Beim
Frontalunterricht
|
Frontalunterricht
hat im Schulalltag mit den Arbeitsformen Einzelarbeit./Stillarbeit,
Partnerarbeit, Gruppenarbeit,
Expertenbefragung [4]
zu konkurrieren. Bei einer vergleichenden Analyse des vorstehenden
Katalogs wird man feststellen, dass sieben Kriterien nicht allein für Frontalunterricht
gelten, sondern ebenfalls für mindestens eine andere Arbeitsform,
d.h. lediglich drei von zehn Kriterien sind allein frontalunterrichtsspezifisch.
Hierdurch wird der ‘schlechte Ruf‘ des Frontalunterrichts
wesentlich relativiert. |
Der
Stellenwert des Frontalunterrichts ist
im Zeitalter der Lernzielorientierung (des Lernzielfetischismusses?)
beträchtlich gestiegen. Als Vorteile des Frontalunterrichts
im lernzielorientierten Unterricht führt Sesink, W. u.a. an:
Wen
wundert‘s, dass bei derart gewichtigen Vorteilen, dort wo
lernzielorientiert gearbeitet wird, die Arbeitsform Frontalunterricht
nach wie vor ´up to date´ ist? |
Wie
bereits angemerkt, wird nicht selten
Handlungsorientierung als
Alternative zum Frontalunterricht
‘gehandelt‘ -
unzulässiger Weise. Ein ausführlicher Blick auf die nachstehend
aufgelisteten Funktionen, die als solche ausdrücklich für handlungsorientierten
Unterricht ausgewiesen
sind, zeigt, dass die Arbeitsform durchaus mit dem Unterrichtsprinzip
vereinbar ist.
“Handlungsorientierter
Unterricht
|
"Handlungsorientierter
Politik-Unterricht |
Der
Kern des Unterrichtsprinzips, die Handlungskompetenz,
konkretisiert sich in vier aufeinander bezogene Teilkompetenzen:
Bisher
liegen keine Forschungsergebnisse darüber vor, welche Arbeitsform für
die Vermittlung dieser Teilkompetenzen am zweckmäßigsten bzw.
effektivsten ist, bzw. ist nicht nachgewiesen worden, dass die Form Frontalunterricht
hierfür ungeeignet sei. |
FazitEs kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass es heute (immer noch) über die Auswirkungen der Arbeitsweisen [7] - einschließlich der Arbeitsform Frontalunterricht lediglich mehr oder weniger plausible Vermutungen gibt. Deshalb gilt nach wie vor, dass bei der Entscheidung für bestimmte Arbeitsweisen vor allem und in jedem Einzelfall zu fragen ist, was diese jeweils im Unterricht zu leisten vermögen, “das heißt, welche formalen und inhaltlichen Voraussetzungen für ihren Einsatz gegeben sein müssen, welche Fähigkeiten des Lernenden sie ausbilden oder aktivieren“ sollen und was sie für die Realisierung der Unterrichtsziele leisten können. Der Unterricht wird für alle Beteiligten um so ergiebiger sein, je differenzierter und abwechslungsreicher mit den einzelnen Arbeitsweisen umgegangen wird[8]. Hierzu gehört nach wie vor und ohne Einschränkung die Arbeitsform Frontalunterricht. |
2. Der LehrervortragDas Stichwort Lehrervortrag ist im Kapitel ‘Hinweise zur Methodik‘ u.a. in den Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach Politik in berufsbildenden Schulen von Juni 1994 nicht zu finden. Hat diese Unterrichtsform im Zeitalter der Handlungsorientierung lediglich antiquarischen Wert? Immerhin taucht im Kapitel ‘Lernkontrollen und Leistungsbewertung‘ das Stichwort Referat auf. |
Vortragen
erleben wir im täglichen Leben sowohl
als
auch in der Schule bzw. bei Schulveranstaltungen, hier insbesondere im
Sekundarbereich II (Einführungen in Sachgebiete, ebenso bei Exkursionen,
Expertenbeiträgen, Ss-Berichten). Vortragen
wird nicht nur gelegentlich geübt , sondern spielt auf vielen Sektoren
und Ebenen, wie die Beispiele zeigen, eine große Rolle. |
Castner,
H. u. Th. haben in den 70er Jahren ihre Kritik an dieser Arbeitsform mit
folgender Begründung formuliert: Bei ‘dieser rezeptiven Form des
Lernens‘
|
Rölke
kann mit einem vergleichenden Unterrichtsversuch aufwarten, er berichtet: Einer
Klasse soll erklärt werden, “dass außer dem Bargeld noch Bankgeld
(Buchgeld, Giralgeld) existiert.“ “Wir beauftragten dazu zwei gleich
tüchtige, methodisch versierte Lehrer, den skizzierten Unterrichtsplan in
die Tat umzusetzen. Lehrer A sollte in seiner Klasse die Lehrform des Vortrags
aufgewendet
worden.[10] |
U.a.
dieser Versuch zeigt auf, welche Möglichkeiten die Unterrichtsform Lehrervortrag
dem Lehrer eröffnet, als da wären:
|
Der
zeitliche Umfang eines Vortrags ist
nicht definiert. Wann hört ein ‘Redebeitrag‘ auf und fängt ein Vortrag
an? Zur Einführung in ein Thema oder zur Darstellung einer Situation
kann fünf Minuten lang ‘vorgetragen‘ werden, dagegen kann ein
gelesener Vortrag‘, z.B. in der
Universität, eineinhalb Stunden, eine Vortragsreihe
auf einem Kongress - gewissermaßen ein Gigavortrag
- mehrere Tage dauern. Die Ursache für die Ächtung des Lehrervortrags dürfte in der Tatsache begründet sein, dass man ihn “sogar als klassische Arbeitsweise eines autoritären Unterrichts definiert hat, bei dem die Schüler in die pure Passivität und Rezeptivität gedrängt würden. Dagegen wurde dann das Ideal eines demokratisch-kooperativen Unterrichts gesetzt, der im wesentlichen daran gemessen wurde, welchen zeitlichen Anteil die Schüleräußerungen im Vergleich zu den Lehreräußerungen haben.“[11] |
Den
Lehrervortrag als autoritäre
Arbeitsweise einzustufen ist äußerst fragwürdig, denn 1.
kennzeichnet der Vortragsstil und nicht die Darbietungsform des Inhalts
einen autoritären Unterricht. Es “hat nichts mit >
autoritärer Haltung < zu tun, wenn man jemand anderem seine
Kenntnisse und Erfahrungen im Zusammenhang
mitteilt“[12]
‚ bzw. wenn man einen Sachverhalt zunächst vollständig darstellt,
z.B. um Informationsdefizite auszugleichen oder um eine gemeinsame Gesprächsebene
bzw. eine Diskussionsbasis zu schaffen. 2.
kann das Fehlen der Möglichkeit zum direkten verbalen Dialog mit dem
Autor nicht als ein Zeichen für |
Damit
der Lehrervortrag als Unterrichtsform
optimal genutzt werden kann, sollte er
|
Verständliches
Vortragen und verständiges Zuhören bedingen einander. Verständiges Zuhören
ist eine höchst aktive, intellektuell anspruchsvolle Verhaltensweise, die
insbesondere hohe Konzentration und logisches Mitdenken erfordert, sowie
die Fähigkeit, erworbene Kenntnisse und bisherige Erfahrungen mit dem
Vorgetragenen in Beziehung zu setzen. Zuhören können ist emanzipationsfördernd.
Es "wird nicht nur in der spezifischen Situation des Unterrichts benötigt,
sondern auch in anderen Lebenssituationen, nicht zuletzt in der realen
politischen Kommunikation selbst. Erfolgreiche politische Kommunikation |
FazitDie
Darbietungsform Vortrag genießt
nach wie vor eine allgemein anerkannte und unangefochtene
Daseinsberechtigung im außerschulischen Alltag. Die wesentliche
Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz dieser Darbietungsform ist,
dass die Zuhörer motiviert und in der Lage sind, zuzuhören. Das setzt
voraus, dass ihre Interessenlage mit der des Vortragenden weitestgehend übereinstimmt. Die
gleiche Anerkennung muss der Unterrichtsform Lehrervortrag
gezollt werden. Sie selbst ist weder undemokratisch noch unzeitgemäß
bzw. mit dem Unterrichtsprinzip Handlungsorientierung unvereinbar,
vielmehr in vielen - sorgfältig ausgesuchten - Fällen zweckmäßig und
erfolgreich anwendbar. Der
Lehrervortrag vermittelt dem
Lehrer in verschiedener Hinsicht Sicherheit und ist in besonderer Weise
dazu geeignet, aktives, verständiges Zuhören zu trainieren. Diese
Beteiligung dient der Erweiterung der kommunikativen Kompetenz und
verbessert die Chancen zu politischer Teilnahme und betrieblicher |
Anmerkungen und Quellenangaben des Autors: [1] vgl. Kirchhoff, R.: Didaktisch/methodische Modelle, Detmold, 1991, S. 30 [zurück] [2] vgl. Horney W. u.a.: Pädagogisches Lexikon in zwei Bänden, Gütersloh, 1975, S.978 [zurück] [4]
vgl. Grosser, D., zitiert in Bundeszentrale für politische Bildung
(Hrg.): Politikdidaktik kurzgefasst, Bonn, 1995, S.144 [zurück] [5] Sesink,W.: Fachdidaktik Wirtschaftswissenschaft, München, Wien, Oldenburg, 1994, S..204 [zurück] [6] vgl. Hrg. Nds Min Kult: Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach Politik in berufsbildenden Schulen, Hannover, 1994; - der zweite Absatz trifft m.E. gleichermaßen für Unterricht in anderen Fächern zu. [zurück] [7]
vgl. Grosser, D. ebenda: Einteilung der Arbeitsweise in Arbeitsformen:
Frontalunterricht, [8] Giesecke, H. zitiert in: Politikdidaktik kurzgefasst. Bonn 1995, S.144 [zurück] [9] vgl. Castner, H.u.Th.: Emanzipation im Unterricht, Bad Homburg v.d. Höhe, 1976, S.98 [zurück] [10] vgl. Rölke, S.: Methodik der Betriebswirtschaftslehre, Bad Homburg v.d. Höhe, 1977, S.167 [zurück] [11] Giesecke, H. ebenda S.l26 [zurück] [12] Giesecke, H. ebenda S.126 [zurück] [13] Giesecke, H. ebenda S.127 [zurück] |
Autor: Hans-Dietrich Zeuschner
Der Text wurde von mir weder gekürzt noch inhaltlich verändert. Wiesinger
weitere Beiträge von Herrn Zeuschner |
überarbeitet: 19.02.15